Stummes Saxophon

 August 2023


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Ausgangssituation
Ruhe!
Die Idee
Die auf jeden Fall funktionierende Idee
Einkaufen
Bauen
Mundstück
Software
Spielen
Mundspannung trainieren


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Ausgangssituation

Im letzten Jahr habe ich von meiner Nachbarin ein Saxophon geliehen bekommen um mich zu motivieren, dieses Instrument zu lernen. Das konnte ich nicht ausschlagen, also habe ich angefangen zu tröten.  

  Beim Sax stellen sich Erfolge zum Glück recht schnell ein und so blieb ich motiviert.  

  Für alle anderen ist das aber eher eine Geduldsprobe: Das Ding ist unglaublich laut und ich noch ein Anfänger, der froh über jeden geglückten Ton ist und bewundernd auf Profis schaut, die das Ding auch leise spielen können.
Das Stören Anderer hat mich oft davon abgehalten zu spielen. Meist habe ich spät Abends oder früh morgens Lust auf das Instrument. Dann mag ich es aber nicht auspacken und die Wände zum Dröhnen zu bringen. Das Sax muss also erheblich leiser werden.  

Ruhe!

Das Sax mit einem Dämpfer im Schallbecher ruhig zu stellen kann nicht funktionieren, da das Geräusch auch aus den vielen Löchern kommt. Trotzdem werden im Internet diverse Einsätze für den Schallbecher angeboten und von verzweifelten Musikern gekauft, die dann von den Dämpfungsergebnissen doch irgendwie enttäuscht sind.
Eine schallisolierte Spielkabine ist mir erstmal viel zu aufwändig. Wäre Saxophon spielen mein einzigens Hobby, könnte ich meine Werkstatt umbauen. Aber das wird mit ziemlicher Sicherheit nicht passsieren!  

Die Idee

Beim Saxophon wird mit dem Schwingen des Blättchens eine Folge von Druckstößen erzeugt. Dabei ergibt sich eine schwingende Luftsäule, die bei einer ganz bestimmten Frequenz in Resonanz ist. Je nach Klappenstellung ist die Säule länger oder kürzer. Das bestimmt dann den zu hörenden Ton. Zumindest stelle ich mir das so vor.  

  Wenn ich die Pulse nun mit deutlich weniger Energie erzeuge, müsste das Sax ja leiser werden. Oder ich erzeuge alle möglichen Töne auf einmal (nennt sich Rauschen). Und messe dann, welche Frequenz besonders heraussticht (die Resonanzfrequenz).  

  Also habe ich ein Mundstück mit einem Lautsprecher statt einem Blättchen gebaut.  

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Ein programmierbarer Funktionsgenerator diente als Signalquelle, ein Spektrum-Analyser auf dem Handy als Analyser.  

  Das Tolle daran ist: ich muss am Sax selber nix umbauen. Anderes Mundstück drauf und Sensor-Mikrofon in den Schalltrichter werfen - fertig.  

  Ich habe dann einzelne Rechteckpulse erzeugt. Da konnte man Klappenstellungen in etwa erahnen. Bei schneller Pulsfolge wurde das schwammiger - also unbrauchbar. So 10 Töne pro Sekunde müssen schon erkennbar sein.  

  Mit dem Rauschen war das nicht besser. Egal welche Rauschform ich verwendet habe - es war keine signifikante Linie im Spektrum erkennbar. Also taugt das auch nix. Eventuell ist meine Theorie, wie ein Sax funktionieren könnte, auch völlig falsch.
Ich habe dann noch unzählige Signalformen von Dirac-Puls über Sägezahn bis zu asymmetrischen Sinus-Pulsen ausprobiert. Alles Mist.  

Die auf jeden Fall funktionierende Idee

Wenn ich an jede Klappe des Saxophons einen Sensor mache, dann könnte ich stumm erfassen, welcher Ton erklingen soll. Damit kann ich zwar die Mundakrobatik nicht trainieren, aber dafür das Spiel der Finger perfektionieren. Als Tonausgabe dient ein kleiner Lautsprecher der nur ganz leise Töne in Mikrowellen-Soundqualität von sich gibt (Piep!) sowie eine MIDI-Buchse, an die ich einen Synthesizer für besseren Sound anschließen kann.
Um Töne mit dem Mund ein- und auszuschalten dient ein selbstkonstruiertes Mundstück mit einem Atemdruck Sensor. Reinpusten: Ton erklingt gemäß Klappenstellung. Nicht pusten: Ruhe.  

  Und das habe ich mir dann auch gebaut!  

   

Einkaufen

Das geliehene Sax kommt für den Umbau nicht in Frage.
Ich habe mich umgehört, ob irgendwer ein defektes Sax rumliegen hat und bin bei einer Instrumentenbauerin fündig geworden: Sie hatte ein fast neues Saxophon, das sich als unspielbar entpuppt hatte. Jedenfalls war es ihr und ihrem Kollegen nicht gelungen, das Ding spielbereit zu bekommen.
Das war ja genau das Richtige für mich: ein nagelneu aussehendes Sax, durch das niemals ein Atemzug gehen wird! Das hat dann für etwas mehr als den reinen Materialwert den Besitzer gewechselt.  

  Das Ding ist wirklich unglaublich billig gemacht: Sieht aus wie ein Saxophon, ist aber keines. Die Achsen knarzen fast alle beim Bewegen (obwohl 1a geschmiert), keine Klappe schließt richtig und unter den Klappen sieht man, wie der billige Gold-Lack schon an vielen Stellen abgeplatzt ist und schwarzes (?) Metall zum Vorschein kommt. Ich habe an dem Instrument 24 Klappen gezählt. Daraufhin habe ich 50 Hall-Sensoren und 50 winzige Magnete gekauft. Warum die doppelte Menge? Weil immer was schief läuft!  

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Die dreibeinigen Hallsensoren brauchen 5V und Masse und schalten das dritten Bein gegen Masse, sobald ein anliegendes Magnetfeld eine gewisse Stärke überschreitet (nennt sich NPN-Ausgang). Damit kriege ich raus, ob eine Klappe offen oder zu ist.  

  Dazu kam ein Board mit vier 74HC165 Chips (8 parallel inputs, I2C output), PullUp an jedem Eingang. Das Board wurde von einem deutschen Bastler für 7€ angeboten, ist aktuell aber nicht verfügbar (Suche nach 32b-shift-register-spi-button-module-4x-74hc165). Wer das Nachbauen will: es tun auch 3 Module mit jeweils einem 74HC165. Die werden einfach in Reihe geschaltet. Solche Module habe ich bei eBay für unter 2€/Stück gesehen. Dazu kommen ein paar Bauteile, die ich aus der Schublade gezogen habe: ein Arduino Nano, ein Stück Lochrasterplatine, eine 5-polige DIN-Buchse und ein kleiner Lautsprecher aus einem Monitor. Anfangs hatte ich einen Piezo-Lautsprecher benutzt, der war aber fast unhörbar (ich habe ja nur 5V Spannung).  

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Außerdem ein kleiner analoger Drucksensor mit eingebauter Meßelektronik.  

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Wer die Kosten dafür scheut (ca. 30€ in Fernost; bei mir lag das teure Ding halt rum): Ein billiger Drucksensor ohne Elektronik tut's auch. Dann muss man halt noch ein HX711 Board (Load-Cell Amplifier, ca.2€) als Meßverstärker dazwischen schalten. Solche Sensoren gibt es in Fernost für ca. 2€ (Suche nach "MPS20N0040D-D") - auf Wunsch auch gleich mit HX710 Meßverstärker (Suche: "MPS20N0040D-S HX710B 24-bit ADC").  

Bauen

An jede Klappe habe ich einen Magneten geklebt.  

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Und in die Nähe dazu jeweils einen Hall-Sensor.  

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Anfangs mit Heißkleber. Der hielt aber nicht besonders auf dem Metall. Ich musste daher immer mal wieder einen Magneten oder einen Sensor festkleben. Das habe ich dann mit 5-Minuten Epoxy gemacht (Den Heißkleber am Magneten gelassen und Harz zwischen Metall und Heißkleber geschmiert).  

  Die Verkabelung: +5V und GND werden von Sensor zu Sensor durchgereicht (rote und schwarze Kabel).  

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Für die Signalleitungen habe ich 8 verschiedene Farben benutzt, so dass jede Farbe nur 3x vorkommt. So habe ich eine Chance, einen bestimmten Sensor zu finden. Die Sensorleitungen habe ich undokumentiert wild an das 74HC165 Board angeschlossen, das zusammen mit der anderen Elektronik auf einem selbstgedruckten Board montiert ist.  

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Stück für Stück kamen die Sensoren dran. Nach und nach an irgendeinen der ersten 24 Ports der 74HC165 Platine angeschlossen.  

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Ich habe sowieso keine Ahnung, welche Klappenkombination welchen Ton erzeugt. Daher muss ich die Töne später anlernen .  

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  Als Spannungsversorgung dient eine kleine Powerbank, die ich über USB-Kabel an den Arduino-Nano anschließe und im Schallbecher versenke.  

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Mundstück

Das Mundstück habe ich mit dem 3D-Drucker aus PET-G gefertigt. Es hat ein paar Anläufe gebraucht, bis ich mit Form und Funktion zufrieden war.  

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Letztendlich bin ich bei dieser Version gelandet:  

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Schnittzeichnung:
 

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Das nun benutzte Mundstück hat im inneren einen dünnen Luftkanal (4mm), der vorn an der Unterseite in Querrichtung auf 2mm verjüngt beginnt. Er kommt in der Mitte an der Unterseite und an der Oberseite heraus, wobei oben der Drucksensor eingesteckt ist.
Die Ausblasöffnung ist nun so gestaltet, dass ich mir nicht mehr selber ins Gesicht puste. Das Eingangsloch ist so platziert, dass ich es bequem mit der Zunge verschließen kann. So muss ich schnelle Luftstöße nicht mit der Lunge machen.
Das Mundstück sitzt ganz normal auf dem S-Bogen, ist gegenüber diesem aber dicht, so dass keine Atemluft ins Saxophon kommt. Ja, ein Alt-Sax hat keinen S-förmigen Bogen. Aber es ist hoffentlich klar, was gemeint ist:  

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Daher muss das Sax auch fast nie geputzt werden. Kein Sabber läuft rein und klebrige Atemluft verkleistert mir nicht die Klappen. Das Mundstück wird nach dem Üben einfach einmal abgewischt. Fertig.  

Software

Die Software hat 2 Betriebsarten: Anlernen und Spielen. Zum Spielen muss ein Jumper gesetzt sein. Im Anlernen Modus gibt der Arduino über die serielle Schnittstelle das von den Hallsensoren erzeugte Bitmuster und den gemessenen Atemdruck aus. Ich habe dann einfach eine Tonleiter gespielt und mir das Bitmuster für jeden Ton notiert. Dazu dann die alternativen Griffmöglichkeiten für den gleichen Ton (z.B. das Seiten-C).  

  Danach wurden diese Werte zusammen mit der entsprechenden Midi-Note in eine Tabelle in der Software eingetragen.  

  Im Spielen-Modus wird das aktuell anstehende Bitmuster in der Tabelle gesucht. Ein Eintrag darin sieht z.B. für das hohe C so aus:  

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    case 0xfff00197: note = 72; break; // c''
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Wird das Muster gefunden und ist außerdem der Atemdruck hoch genug, so wird ein NoteON für die gefundene Note auf der MIDI Buchse und dem internen Tongenerator ausgegeben. Fällt der Atemdruck unter eine bestimmte Schwelle, so wird der Tongenerator abgeschaltet und ein MIDI Kommando NoteOFF sowie das Controll-Kommando AllOff gesendet.  

  Später habe ich noch einen Effekt hinzugefügt: Wenn ich kräftig in das Mundstück blase, wird ab einem bestimmten Druck ein Bending Kommando gesendet. Damit kann ich Töne stufenlos herunterziehen (iiiuuuuuu) - allerdings bisher nur auf einem Midi Synthesizer.  

  Da ich den Zustand des Akkus im Schalltrichter schlecht sehen kann, habe ich noch ein einfaches Voltmeter angebaut:  

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Gesamtansicht:  

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Spielen

Mit dem Instrument kann ich prima meine Finger trainieren und jederzeit musizieren ohne jemanden zu stören.
[Bild WAF-Gruen]
 

  Im Gegensatz zu einem echten Sax verzeiht dieses keine Fehler im Fingersatz: Wenn ich schlampig vom H zum C (ohne Seiten-C zu benutzen) wechsle, ist recht deutlich ein A oder Cis beim Übergang zu hören. So ein direktes Feedback finde ich hilfreich.
Und nicht vorgesehene Klappenstellungen werden hart mit Stille geahndet.  

  Tolle Effekte und Tricksereien kann ich auf dem echten Sax zusammen mit der Mundakrobatik üben (Stichwort "Slap Technik").  

Mundspannung trainieren

Auf dem stillen Sax ist die Mundspannung völlig egal. Daher habe ich - nur zum Muskeltraining - einen Schalldämpfer für ein echtes Mundstück konstruiert. Einfach nach dem Vorbild eines Pistolen-Schalldämpfers. Das hat gar nicht funktioniert. Entweder es kam kein Ton zustande oder es war ähnlich laut wie ohne Dämpfer.  

  Nachdem ich ein paar Varianten ausprobiert hatte, ärgerten mich die ewig langen Druckzeiten.
Also habe ich einen modularen Aufbau konstruiert, bei dem ich einzelne Teile ersetzen kann. Dazu waren halt Flansche mit vielen Schrauben nötig.  

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Nun konnte ich einzelne Teile ersetzen ohne immer alles zu drucken. Und die Gesamtlänge konnte ich aus einzelnen Teilen kombinieren.  

  Erkenntniss: um die Luftsäule zum Schwingen zu bringen ist wohl ein gewisser Anteil an Reflektion unbedingt erforderlich.
Nach und nach habe ich über viele Versuche nun einen Dämpfer hin bekommen, der halbwegs spielbar ist.  

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Querschnitt:  

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Mit aufgesetztem Mundstück:  

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Damit spiele ich sogenannte Longnotes.
Das heißt, einen Ton für z.B. 10 Sekunden lang gleichmäßig erklingen zu lassen. Wenn ich mal ein paar Wochen nicht gespielt habe, merke ich deutlich, wie schlecht dann das Halten des Tones funktioniert.  

  Der Dämpfer ist immer noch ordentlich laut (nix für 3 Uhr nachts), aber deutlich leiser als nur das Mundstück oder gar das Mundstück am Saxophon.  

 
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Die Software für den Arduino und die diversen 3D-Druckobjekte gibt's hier: 176midisax.zip  

  Allerdings könnt ihr die Case-Anweisungen nicht übernehmen.
Die muss durch Anlernen an eure Verdrahtung angepasst werden.  

   

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Aber der Seitenquelltext (strg-U) sieht auch interessant aus, zumindest wenn man ihn mit einem Monospace Font in sehr kleiner Schriftgröße betrachtet.

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